„Kultur wirtschaftet“

Folgt man einer aktuellen Erhebung, bezeichneten sich im vergangenen Jahr erstmals über 8 Millionen Personen in Deutschland als besonders kunst- und kulturinteressiert. Gleichzeitig sind die in der Kunst- und Kreativwirtschaft generierten Umsätze – abgesehen vom Corona-Jahr 2020 – in den zurückliegenden zehn Jahren kontinuierlich gestiegen, zuletzt auf gut 175 Milliarden Euro pro Jahr.

Das zeigt: Kunst und Kultur haben längst nicht nur unterhaltenden Wert, sondern sind unverzichtbare Facetten einer erfolgreichen Stadt- und Regionalentwicklung – und damit (mit erheblichen Wertschöpfungspotenzial) auch im und für den Tourismus in Deutschland. Und wie so oft gilt zu gleich: Es ist viel in Bewegung – und es gibt viel zu tun, weil sich Erwartungen, Trends und der „Kulturkonsum“ deutlich ändern.

Zu diesem Thema, den aktuellen Entwicklungen und Trends habe ich mich unlängst mit der erfahrenen Kulturmanagerin Silke Zimmermann ausgetauscht. Nach Stationen in NRW und Berlin verantwortete Sie über 250 Kulturveranstaltungen jährlich als Intendantin auf Schloss Elmau und richtete in dieser Funktion auch das kulturelle Begleitprogramm für den G7-Gipfel aus, der 2015 in dem abgeschiedenen Hochtal in den bayerischen Alpen stattfand. Seit 2020 bündelt sie diese Erfahrungen in ihrer eigenen Agentur Silke Zimmermann Consulting.

Die Kernaussagen aus diesem Gespräch haben wir im Folgenden zusammengefasst.

Benjamin Zwack: Nicht erst in den zurückliegenden Jahren hat sich die Nachfrage nach kulturellen Angeboten verändert, zugleich sind innovative neue Formate entstanden. Welche Trends und Entwicklungen beobachten Sie?

Silke Zimmermann: In Zentraleuropa gibt es eine breite Flächendeckung mit Konzertsälen und kulturellen Einrichtungen, die dem heutigen Konsumverhalten in der Kultur nicht mehr entsprechen, die zumeist viel zu große, träge Supertanker sind und gigantische Kosten für die Kommunen erzeugen. Sehr oft sind sie mit einer Programmierung der „Hochkultur“ verbunden, die die jüngeren Generationen als elitär und nicht mehr unterstützungswürdig ansehen.

Das „Volatile“, die Vermählung von bildender Kunst und anderen Kunstformen an ungewöhnlichen Orten greift indes immer stärker Raum. Kulinarik und Kulturevent zu vernetzen, wird immer zwingender.

Seit Corona weiß zudem jeder kulturell Interessierte, dass kaum noch etwas ausverkauft ist, weil es sich ein Großteil der Menschen mit großen Bildschirmen und Lieferando zu Hause gemütlich gemacht hat. Dies führt dazu, dass für freie Veranstalter keine verlässliche Einschätzung mehr möglich ist, welche Hallen noch rentabel sind und welche Werbemaßnahmen geschaltet werden können.

Bild: Federica Campanaro, unsplash.com

Kulturelle Angebote sind in den meisten Fällen mehr als „nur“ punktuelle Events. Sie prägen Städte und Regionen und steigern die Lebensqualität vor Ort. Wie sehen Sie diesen Zusammenhang?

Ganz wichtig ist es für Kommunen, der Tendenz des „Flüchtigen“ entgegen zu treten und konsequente Kulturarbeit in der eigenen Stadt zu verstetigen, Einrichtungen, die neue Kulturkonzepte vertreten, maximal zu unterstützen. Es ist errechnet worden, dass jeder Euro, der in das Kulturangebot gesteckt wird, in doppelter Weise zurückkommt durch die Umwegrentabilität, die der Kulturinteressierte in der Stadt erzeugt.

Der viel beschriebene „Bilbao-Effekt“ (ein Museumsbau, der über Jahre Millionen in die Stadtkasse spülte und das Investment in kürzester Zeit recoupen konnte) ist auch auf kleinere Kommunen anzuwenden. Es ist festzustellen, dass in Städten, die ihre kulturelle Attraktivität vernachlässigen, ein „brain drain“ auch in anderen Bereichen der Wirtschaft stattfindet. Wichtige high-potential-Arbeitnehmer erst gar nicht in eine kulturell unattraktive Stadt ziehen, egal wie toll der Job.

Bild: Nick Wessaert, unsplash.com

Was ist Ihnen besonders wichtig, wenn Sie auf die Zukunft von Kulturmanagement und Kulturveranstaltungen blicken? Welche Chancen sehen Sie dabei?

Während es zur Zeit scheint, dass jeder Musiker werden möchte, fehlt in großen Teilen des Kulturschaffens die kompetente Administration, um die Budgetierung und professionelle Durchführung der vielen neuen Kulturformate zu gewährleisten. Die Ausbildung von technischem und administrativem Personal muss höchste Priorität haben, um die vielfältigen Formate des Kulturlebens nicht zu Eintagsfliegen werden zu lassen.

Kultur wirtschaftet – das hingegen ist die riesige, positive Erkenntnis dieser Tage.

Silke Zimmermann

In Zeiten, in denen aufgrund der hohen Automatisierung immer weniger Stunden physisch gearbeitet werden und immer mehr Freizeit entsteht, wird das Kulturleben eine integrale Wirtschaftsform jeder Gesellschaft sein. In Deutschland, zum Beispiel, liegt schon heute der Umsatz der Kultur- und Veranstaltungs-Wirtschaft vor dem des Maschinen- und Anlagenbaus.


Zur Person: Silke Zimmermann

Silke Zimmermann unterstützte bei der Film- und Medienstiftung NRW die Transformation des Kohle- und Stahl geprägten Landes Nordrhein-Westfalen in eine moderne Medien-Region. Für die Berliner Festspiele (u.a. mit der Berlinale, dem Theatertreffen Berlin, der Spielzeit Europa, dem Jazzfest Berlin), suchte und strukturierte sie über 20 neue Festival-Formate im Bereich Film und Musik in der kurz zuvor wiedervereinigten Hauptstadt Berlin.

Ihre musikalische Expertise erweiterte sie als Director of Artist Coordination & Marketing für SONY Classical International. Später wurde sie Intendantin des fast 250 Kulturveranstaltungen jährlich umfassenden Kultur-Programms von Schloss Elmau (Klassik, Jazz, Literatur, Film). In dieser Funktion richtete sie auch das kulturelle Begleitprogramm für den G7-Gipfel aus, der 2015 in dem abgeschiedenen Hochtal in den bayerischen Alpen stattfand.

Seit 2020 bündelt sie diese Erfahrungen in ihrer eigenen Agentur Silke Zimmermann Consulting, die sich mit der internationalen Talententwicklung und der Konzeption von Kulturkonzepten im internationalen Kontext beschäftigt. Sie berät in dieser Funktion Festivals, politische Einrichtungen, Privatiers und Musiker aus verschiedenen Stilrichtungen weltweit. Kontakt und weitere Details: www.silkezimmermann.com

Zur Person: Benjamin Zwack

Nach Stationen an einem Ethik-Institut an der Ludwig-Maximilians-Universität München im Bereich (Konflikt-)Kommunikation, bei einem großen deutschen Spitzensportverband im Bereich Verbandskommunikation und -management und sieben Jahren im operativen Tourismus mit den Schwerpunkten Marketing, Kommunikation und B2B-Tourismus, arbeitet Benjamin Zwack seit 2020 freiberuflich als Marketing- und Kommunikationsberater und ist zugleich Partner der bekannten Tourismusberatung co:compass / Compass Tourismus Partner eG.

Dabei betreut er Strategieprozesse für touristische Destinationen und Regionen, berät zu aktuellen Themen in Marketing und Kommunikation und bietet regelmäßig Workshops und Webinare an. Daneben arbeitet er als Drehbuchautor von Dokumentarfilmen für das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Kontakt und weitere Details: www.zwack.marketing und www.compass-tourismus.com